Liebe Freundinnen und Freunde des Taichi und Qigong, mein Name ist Rainer Lehrhuber. Ich möchte mich Ihnen gerne vorstellen und mein Verständnis von Taichi und Qigong beschreiben sowie meinen Weg, der mich zu diesen Bewegungskünsten gebracht hat.
Herzlichen Gruß
Rainer Lehrhuber
Es gab wenig Kontakt zu meiner „inneren Welt“
Im Laufe der letzten Jahrhunderte ist im Westen ein breites Wissen darüber entstanden, wie wir die äußere Welt gestalten können. Wir haben es dabei zu großer Meisterschaft gebracht und sind zu Recht stolz darauf. Viele Menschen haben jedoch den Eindruck, sie hätten sich zugleich immer weiter von sich selbst entfernt. Genau an dieser Stelle stand ich vor vielen Jahren auch: „Mein Job, mein Geld, meine Wohnung, meine Freundin“ hätte ich, wie in dem bekannten Werbespot, sagen können. Meine Freunde und Bekannten hätten vielleicht hinzugefügt: „Da ist einer, der hat sein Leben voll im Griff.“
Nun ist an all dem nichts Falsches, wenn man sich gut dabei fühlt und erfüllte Beziehungen zu sich selbst und anderen leben kann. Leider fühlte ich mich zu dieser Zeit jedoch irgendwie überfordert, ausgebrannt und ständig getrieben. Es gab wenig Kontakt zu meiner „inneren Welt“.
Mein Rücken schmerzte und mein ganzer Körper fühlte sich eng, schwer und verspannt an. Es war völlig unklar, was mich im Innersten bewegte und wie ich vielleicht sogar positiv darauf hätte einwirken können.
Aus diesem Leidensdruck heraus begann ich täglich zu meditieren und besuchte über einen Zeitraum von fünf Jahren alle drei Monate einwöchige Meditations-Retreats. In dieser Phase lernte ich sehr viel über meine Gedanken, Emotionen und inneren Reaktionsmuster. Außerdem stellte sich im Laufe der Zeit mehr Ruhe und Gelassenheit ein.
Mein Weg zum Taichi und Qigong
Nach einiger Zeit stellte ich jedoch fest, dass sich meine körperlichen Beschwerden kaum gebessert hatten. Der Rücken schmerzte weiterhin und durch die Sitzmeditation zusätzlich noch meine Knie (was man nicht der Meditation an sich anlasten kann, sondern eher der Art und Weise, wie ich meditierte). In mir entstand der dringliche Wunsch, mehr für meinen Körper und meine Gesundheit zu tun und trotzdem weiterhin meditativ praktizieren zu können – und so begann ich mit Taichi und Qigong. Es wurde sofort offensichtlich, dass die stärkere Einbeziehung von Körper, Bewegung und energetischer Perspektive mein Üben ungemein bereicherte. Schon nach einem Jahr fühlte ich mich vitaler, mein Rücken schmerzte deutlich weniger und ich hatte mich in die harmonischen Bewegungsabläufe verliebt.
So gingen die Jahre übend und praktizierend ins Land, und so kam es ganz natürlich, dass ich eine Taichi-Lehrerausbildung begann und nach den Richtlinien des „Deutschen Dachverbandes für Qigong und Taichiquan“ abschloss. Im Taichi praktiziere und lehre ich den „Traditionellen Yang-Stil“ mit den Schwerpunkten Langform, Kurzform, Schwertform und Push Hands. Im Qigong beschäftige ich mich intensiv mit verschiedensten klassischen Übungssystemen, z.B. 18 Übungen des Taichi-Qigong, Ba Duan Jin, die 5-Elemente-Übungen oder Übungen des Stillen Qigong und Meditation. Im Zentrum des Unterrichts stehen körperliche, mentale und energetische Ausrichtung und Koordination in Haltung und Bewegung.
Es geht um konkrete persönliche Erfahrungen
Im Taichi und Qigong geht es in erster Linie nicht darum, sich theoretisches Wissen anzueignen oder äußere Bewegungsabläufe auswendig zu lernen. Es geht im Kern um Wahrnehmen und Spüren dessen, was ist, und damit um ganz konkrete persönliche Erfahrungen. Als Lehrer sehe ich meine vorrangige Aufgabe darin, einen möglichst offenen Erfahrungsraum anzubieten. Ich möchte die Menschen, die zu mir kommen, einladen, sich mit ihrem Körper, Geist und energetischen Prozessen in einer leichten, entspannten Art und Weise und ohne Druck bewusst auseinanderzusetzen. Der Körper und die Bewegungen des Körpers bilden dazu den Zugang. Das kann jeder tun – egal in welchem Alter. Es geht nicht um Perfektionismus.
Unser Körper-Geist-System funktioniert nach ganz bestimmten Gesetzmäßigkeiten und diese können erfahren und erkannt werden. Erfahren und Erkennen erschließen wiederum die Möglichkeit, mit uns und unserer Umwelt geschickter umzugehen. „Geschickt mit sich umgehen“ bedeutet häufig nur, „die Dinge einfacher tun“. Dies ist mit dem daoistischen Prinzip von „Wuwei“ gemeint: Es bedeutet „Handeln durch Nicht-Handeln“. Damit ist nicht gemeint, dass man plötzlich nichts mehr tut, sondern dass man die (innere) Komplexität aus dem Handeln nimmt. Weniger Komplexität im Handeln bedeutet mehr an Loslassen und Entspannen. Das ist keine Esoterik oder Religion – das ist ein konkreter Lebensweg. Das ist der jahrtausendealte Weg von Taichi und Qigong.
Ein authentischer Weg zu Taichi und Qigong
Die Frage ist: Wie vermittelt und praktiziert man den Weg des Taichi und Qigong auf authentische Art und Weise? Diese Frage stellt sich nicht nur für uns Westler, sondern gleichermaßen für das Ursprungsland von Taichi und Qigong, da auch in China v.a. seit der Kulturrevolution die alten Bewegungskünste an vielen Stellen ihrer Tiefe beraubt wurden.
Klar ist, dass wir uns dem Taichi und Qigong nicht in exakt gleicher Form annähern können wie die alten chinesischen Meister vor hunderten von Jahren. Deren Authentizität war eine andere als unsere heutige. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das System in eine „Sprache“ zu übersetzen, die unserer Kultur und unseren Lebensumständen entspricht, ohne an ursprünglicher Essenz und Schönheit einzubüßen.
Eine große Unterstützung in diesem Findungsprozess war und ist mir die Alexandertechnik (www.alexandertechnik-muenchen.com). Dieser westliche Ansatz beschäftigt sich mit körperlich-geistiger Koordination bzw. ganzheitlicher persönlicher Entwicklung und damit letztlich mit den gleichen Grundthemen wie Taichi und Qigong. In meinem Verständnis behalten Taichi/Qigong und Alexandertechnik ihre Eigenständigkeit, dürfen sich aber gegenseitig bereichern.
Vor vielen Jahren habe ich meinen alten Beruf aufgegeben und mich ganz dem Taichi, Qigong und der Alexandertechnik verschrieben. Mein Leben hat sich dadurch in einer Weise positiv verändert, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ich danke allen Menschen, die mich dabei unterstützt haben.
Literaturempfehlungen
Taichi im Studio Equilibrium seit 2010